1.808 Menschen, die dem Aufruf unserer Kirchengemeinde zu einer Unterschriftenaktion für Muntari gefolgt sind, fordern den Kreis Lippe mit ihrer persönlichen Unterschrift auf, unverzüglich alle notwendigen Schritte für eine schnelle Rückkehr des Ghanaers Muntari Adams nach Blomberg zu unternehmen.
Zugleich protestieren wir damit gegen Muntaris „empörende Abschiebung“ nach Ghana, die im November 2019 trotz positiven Entscheids der Härtefallkommission des Landes NRW durch die Ausländerbehörde des Kreises Lippe durchgeführt wurde. Als Unterzeichnende sehen wir derzeit Muntaris Gesundheit und Leben in Gefahr.
Am 21. November wurde Muntari Adam in den frühen Morgenstunden aus seinem Zimmer in Cappel abgeholt. „Ich habe am Tag danach eine SMS von einer unbekannten Nummer aus Ghana“ erhalten, erzählt Dieter Bökemeier, Pfarrer für Flucht und Migration der Lippischen Landeskirche: „‘Sie haben mich nach Ghana zurückgebracht!‘ stand dort. Ich habe es erst gar nicht verstanden und war geschockt, als mir alles klar wurde.“
Vielen anderen ging es genauso. Muntari Adam hat in Lippe viele Freunde und Bekannte. Da sind wir, als Kirchengemeinde Cappel-Istrup, in der er auch getauft worden war. Da ist der internationale Bibelkreis in Detmold, der mit ihm sehr verbunden war. Und da sind Bekannte und Freunde aus Cappel und Blomberg, aus der Tageseinrichtung in Lemgo, wo er zuletzt war usw. Sie alle empfanden die Abschiebung als skandalös, weil hier ein nach 17 Jahren endlich zur Ruhe gekommenes Leben erneut akut gefährdet wird – und das, obwohl die rechtsstaatlichen Instrumente ein Hierbleiben ermöglicht hätten.
Aus Protest gegen die Abschiebung haben wir als Muntari Adams Kirchengemeinde Cappel-Istrup im Dezember eine Unterschriftensammlung gestartet. Darin werden die zuständigen Entscheidungsträger aufgefordert, „unverzüglich alle notwendigen Schritte für eine schnelle Rückkehr von Muntari Adam nach Blomberg zu unternehmen“. Diese Forderung wurde bis zum 27.01.2020 von 1.808 Menschen eigenhändig unterschrieben.
Wir haben bewusst auf eine Onlinepetition verzichtet, um vor allem die lippische Unterstützung für Muntari zu zeigen. Es haben hunderte Menschen aus unserer Gemeinde und ganz Blomberg unterschrieben. Weitere ausgefüllte Listen kamen von Muntaris internationalem Bibelkreis, aus anderen evangelischen, katholischen, methodistischen Gemeinden, von Freunden und Unterstützern aus ganz Lippe und auch aus der Politik. Sogar eine ganze Ratsfraktion hier in Blomberg war dabei, bewusst auch ein früherer Oberkreisdirektor und viele andere mehr. Das Schicksal Muntaris hat viele Menschen bewegt.
„Das Signal, das die gesammelten Unterschriften senden, nehmen wir sehr ernst“, betonte Landrat Axel Lehmann bei der Übergabe der Unterschriften.
Anfang Februar wird ein Termin mit der Lippischen Landeskirche stattfinden, in dem neben diesem Einzelfall insbesondere die künftige Zusammenarbeit und Vorgehensweise bei Härtefällen thematisiert wird. „Eine konstruktive Zusammenarbeit sei der Kreisverwaltung weiterhin ein Anliegen“, so konstatierte Axel Lehmann zum Schluss dieser Begegung.
Zum Hintergrund:
Der 34-jährige Muntari Adam hatte 5½ Jahre in Cappel-Blomberg gelebt. In der Nacht auf den 21.11. wurde er von der Ausländerbehörde des Kreises Lippe völlig überraschend aus Cappel abgeholt und in sein Herkunftsland Ghana abgeschoben. Dieses Land hatte er vor 17 Jahren nach der Ermordung seiner Familie verlassen. Eine jahrelange Odyssee durch afrikanische und europäische Länder hatte sich angeschlossen, bis er in Cappel und Lippe eine Bleibe, eine Kirchengemeinde und Freunde gefunden hatte.
Unmittelbare Ursache für Muntaris Flucht aus Ghana war die Ermordung seiner gesamten Familie an Weihnachten 2002 während eines blutigen Konflikts um die lokale Thronnachfolge in Yendi (Nordghana). Mit Hilfe von dortigen Freunden gelang ihm die Flucht nach Libyen, wo er 9 Jahre lang lebte und sich über Wasser halten konnte. Im Jahr 2011 erreichte die Gewalt Muntari auch dort. Im Zuge des Bürgerkrieges, in den auch westliche Alliierte durch Bombardierungen eingriffen, wurde er von Libyern zwangsweise nach Italien gebracht.
In Italien erkrankte Muntari u.a. körperlich und psychisch, erhielt bald keine Unterstützung oder medizinische Versorgung mehr, versuchte in anderen europäischen Ländern Fuß zu fassen und wurde immer wieder nach Italien zurückgebracht. Schließlich lebte er seit 5 ½ Jahren in Lippe; eine auch hier geplante Abschiebung nach Italien konnte 2014 durch ein Kirchenasyl in der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Cappel verhindert werden.
Nachdem später Muntaris Asylantrag abgelehnt worden war, beschäftigte sich unter anderem die Härtefallkommission des Landes Nordrhein-Westfalen mit seinem Fall. Muntari hatte aufgrund seiner jahrelangen Flucht und Unsicherheit mit erheblichen gesundheitlichen Problemen zu tun. Deshalb war er bis zu seiner Abschiebung z.B. in ambulanter Betreuung durch „Das Dach e.V.“. Auch dies war Gegenstand des Härtefallverfahrens.
Aufgrund des persönlichen Schicksals von Muntari entschied sich die Härtefallkommission für dessen Bleiben in Deutschland. Anfang April 2019 „ersuchte“ sie, so der formale Vorgang, die Ausländerbehörde des Kreises Lippe, Muntari eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis nach § 23 a Aufenthaltsgesetz zu erteilen. Große Erleichterung machte sich bei Muntari und seinen Freunden und Unterstützern breit, zumal der Kreis Lippe mündlich signalisiert hatte, dem Ersuchen der Härtefallkommission folgen zu wollen.
Muntari selber, die Flüchtlingshilfe Lippe e.V. als Beratungsstelle und die Lippische Landeskirche bemühten sich darauf hin, die für die Aufenthaltserlaubnis notwendigen Papiere zu besorgen. Niemand ahnte, dass sich der Kreis Lippe ohne weitere Kommunikation offensichtlich entschieden hatte, trotz allem die Abschiebung voran zu treiben.
Muntari hält sich derzeit in seiner Herkunftsstadt Yendi in Nordghana auf. Pfarrer Bökemeier dazu: „Muntari wusste nicht, wohin er sonst gehen sollte. Er kennt aber in Yendi niemanden mehr. Über unsere Partnerkirche, die Evangelical Presbyterian Church, Ghana, konnten wir eine vorläufige Unterkunft für ihn organisieren. Aber es geht ihm gesundheitlich schlechter als vorher in Deutschland und seine Zukunft ist sehr unsicher.“
Dies ist aber auch nur eine vorübergehende Lösung.